Archiv für den Monat: Juli 2019

Der Iran

Seit einigen Jahren schon möchte ich in den Iran reisen! Die vielen Reiseberichte von Bekannten, die so gar nicht zu den Nachrichten über dieses Land passen wollten, haben den Iran zu meinem absoluten Wunsch-Reiseland gemacht. Ich wollte selber herausfinden, was denn nun eher zutrifft. Als wir also begannen unsere Reise zu planen, war klar, dass der Iran Teil davon sein muss.
Nun sind wir 3,5 Wochen hier und ich kann sagen, der Iran hat mich verzaubert, beschämt, begeistert und traurig gemacht. So einfach wie erhofft ist das mit „Wahrheit“ nicht, Widersprüche gehören hier zum Alltag und bestimmen das (Doppel-)Leben.

Von Anfang an… Nachdem wir unser Visum für den Iran erst beim 3. Antrag bekommen haben (ein Umstand, den wir mit deutschem Pass gar nicht gewohnt sind), dachten wir, auch die Einreise wird schwierig und mit langen Gepäckkontrollen sowie Befragungen verbunden sein. Nix da! Es wurde gefragt, was ich arbeite. Sonst nichts. Da Martina wohl vertrauenswürdiger aussieht, blieb ihr sogar diese Frage erspart und die Einreise dauerte inklusive Anstehen vielleicht 10 Minuten.

Die ersten paar Tage verbrachten wir in Tabriz im Norden des Irans. Hier lernten wir zum ersten Mal die Hilfsbereitschaft und Offenheit der Iraner_innen kennen. Eine einfache Frage nach dem Weg führt dazu, dass wir bis zur Bushaltestelle gebracht werden. Der Spaziergang über den Bazar endet im Antiquitätengeschäft mit Gesprächen über das Leben in Deutschland. Beim Überqueren der Straße heißen uns fremde Menschen im Iran willkommen, während sie uns mit ihrem Motorrad fast überfahren. Im Stadtpark bleibt man stehen, um uns zu sagen, wie schön es ist, dass wir da sind. Abseits der klassischen Touristenziele sind Ausländer_innen eher selten und die Freude über Besuch im eigenen Land ist umso größer. „Ausländer_in“ ist hier kein Schimpfwort, sondern etwas positives. Gäste sind willkommen und gerne gesehen. In solchen Momenten denken wir beschämt an das deutsche Verständnis von Gastfreundschaft.

Nachdem wir eine Nacht im eher unspektakulären Ardabil verbracht haben, ging es weiter nach Rascht. Auf der Busfahrt dorthin wurden wir bei einer Toilettenpause von zwei etwa 50-jährigen Frauen gesehen. Die beiden waren mit ihrem Privatauto unterwegs und folgten uns in den Bus. Was in Deutschland merkwürdig wäre, erscheint uns nach wenigen Tagen im Iran schon normal. Nach einem kurzen Gespräch in gebrochenem Englisch zogen die beiden von dannen, um wenige Minuten später wieder zu kommen und uns zum Essen bei sich einzuladen. Nun doch etwas überrascht, aber auch neugierig, haben wir zugesagt. Zwei Tage später wurden wir vom Hotel abgeholt. Nach einem ausgiebigen Fotoshooting auf dem Zentralplatz ging es ins Privathaus. Die islamische Kleiderordnung für Frauen (Kopftuch, lange Hose, lange Ärmel, Po mindestens mit zwei Schichten Kleidung bedeckt, alles möglichst unförmig) gilt zuhause nicht: Frauen nehmen sich Wechselkleidung mit, um nicht die ganze Zeit lange Kleidung tragen zu müssen. Extra für uns wurde sehr lecker und vegetarisch gekocht! Wir haben uns unterhalten, gemeinsam Musik gehört (zu unserem Leidwesen ist Helene Fischer eine der bekanntesten deutschen Sängerinnen und kommt beim Vorführen deutscher Musik immer wieder zum Vorschein…) und eine entspannte Zeit miteinander verbracht.
Rascht hat touristisch eigentlich wenig zu bieten und geplant war es, dort zwei Nächte zu verbringen, um dann weiter zu reisen. Doch wie so oft bei uns kam es anders: Wir blieben fünf Tage und hätten die lebendige, junge Stadt sowie ihre Bewohner_innen wohl auch noch länger genießen können. Nur „leider“ ist der Iran groß und unsere Neugier auch, so dass wir doch weitergezogen sind, wenn auch schweren Herzens.

Unsere nächste Station war Teheran. Wie wohl fast jede Hauptstadt ist auch Teheran laut, groß und chaotisch. Im Zuge der Anonymität der Großstadt herrscht auch etwas mehr Freiheit als anderswo, so zumindest unser Eindruck. In Teheran rutscht das Kopftuch jedes Jahr ein bisschen weiter nach unten und im Frauenabteil der Metro nehmen einige Frauen das Kopftuch wie selbstverständlich ab. Doch das ist nicht das einzige, was uns in der Metro aufgefallen ist. Die Metro ist ein wahres Shoppingparadies! An jeder Haltestelle steigen mehrere Verkäufer_innen ein, die von Socken über Kaugummis bis zu Handykabeln so ziemlich alles verkaufen, was man braucht oder eben auch nicht. Wir waren überrascht, wie fleißig geshoppt wird. Dabei ist es überall möglich mit Karte zu zahlen! Neben den fliegenden Händler_innen der Metro bieten auch die LKWS, die am Straßenrand Wassermelonen verkaufen, Kartenzahlung an. Da 1€ etwa 135.000 Rial entspricht (Schwarzmarktkurs) und man dementsprechend immer einen dicken Batzen Geld dabei haben müsste, ist die häufige Kartenzahlung verständlich. Wir sind trotzdem auf die Zahlung mit Bargeld angewiesen. Der Iran ist im Zuge der jahrelangen Sanktionen komplett vom globalen Finanzmarkt abgeschottet. Unsere Kreditkarten funktionieren hier nicht. In Armenien und Georgien haben wir uns mit großen Dollar-Reseven eingedeckt, die wir nach und nach umtauschen und so jedes Mal zu Millionärinnen werden.

Von Teheran aus folgen wir der klassischen Touristenroute. Wir wanderten durch die herrschaftlichen Villen in Kashan, besuchten die historischen Bauten und Parks in Isfahan, ließen uns vom Lichterspiel in der pinken Moschee in Shiraz verzaubern und bestaunten den Sonnenuntergang in der Wüste bei Yazd. Nebenbei hatten wir oft die Chance, in den Alltag der Iraner_innen reinzuschnuppern, sei es durch den Besuch eines Frauenschwimmbads, Gespräche mit Unbekannten auf der Straße oder Begegnungen mit Couchsurfer_innen.

Unsere Zeit im Iran nähert sich nun dem Ende, doch wir hoffen sehr, nochmal zurück zu kommen. Zuviel ist hier noch zu entdecken! Da wir bereits in der Mitte des Landes Temperaturen von über 45°C hatten, haben wir uns gegen einen Besuch der südlichen Regionen am persischen Golf entschieden und auch Kurdistan im Nordwesten des Landes ist noch ein weißer Fleck auf unserer Landkarte.

Nachdem wir den Iran nun selbst erleben durften ein Fazit: Ein Beitrag reicht überhaupt nicht aus, um unseren Erlebnissen und Eindrücken vom Iran gerecht zu werden – wir schreiben fleißig an einem Weiteren. Wir fühlten uns während der gesamten Zeit im Iran absolut sicher! Das Überqueren der Straßen und auch einige Autofahrten brachten uns dem Tod gefühlt ein bisschen näher, doch abseits davon hatten wir nie Angst um uns und unsere Wertsachen. Auch Vorurteile über iranische Männer, die uns im Vorfeld oft begegnet sind, können wir nicht bestätigen. Besonders im Vergleich zu den georgischen Männern haben wir den respektvollen Umgang zwischen den Geschlechtern hier sehr genossen. Im Gegensatz zu den anderen Ländern haben wir auch am iranischen Nachtleben teilgenommen. Wir hätten nicht gedacht, dass wir ausgerechnet im Iran bei einer Privatparty dabei sein und regelmäßig nach 1Uhr nachts den Weg zurück zum Hotel antreten würden. Auch überrascht waren wir davon, wie einfach das Reisen ist. Viele Iraner_innen sprechen sehr gutes Englisch und auf den Straßen wurden wir oft auf Deutsch angesprochen, ob wir Hilfe brauchen. Die Sehenswürdigkeiten im Iran lohnen sich und begeistern durch ihre Vielfalt, Pracht und oft auch Einzigartigkeit. Und obwohl es so viel Wundebares zu sehen gibt, hatten wir einige Highlights für uns ganz alleine, denn Tourist_innen verirren sich in den Sommermonaten selten in den Iran.

Neben viel Begeisterung, Zauber und erlebter Gastfreundschaft nehmen wir aber auch ein paar negative Eindrücke mit. Die Kleiderordnung hat uns sehr genervt, dabei sind die langen Sachen und das Kopftuch gar nicht so sehr das Problem (gegen die Sonne ist es sogar ganz praktisch), viel mehr hat uns das Gefühl der fehlenden Freiheit und die Fremdbestimmtheit gestört. Diese beiden Gefühle traten im Alltag häufiger auf und führten auch zu gelegentlicher Unsicherheit. Traurig hat uns gemacht, wie ausweglos die Situation im eigenen Land vielen jungen Menschen erscheint. Uns haben die Gesetze auf unserer kurzen und freiwilligen Reise das Land bereits sehr eingeschränkt und gestört. Unvorstellbar ist es für uns, wie es ist jeden Tag damit leben zu müssen und tagtäglich Gesetze zu brechen, selbst wenn es nur der Besuch von verbotenen Internetseiten wie facebook und youtube ist.

Trotz dieser negativen Eindrücke haben wir unsere Zeit sehr genossen und sind dankbar für die vielen Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen. Wir haben gesehen, dass der Iran so viel mehr zu bieten hat als negative Schlagzeilen und einseitige Nachrichten: historische Bauten, pulsierendes Leben, Naturhighlights und vor allem wunderbare Menschen.

Sogar die „Klofrau“ trägt hier Hijab!

Schrein in Ardabil

Der Iran hat eine ausgeprägte Picknick-Kultur. Sogar Verkehrsinseln werden genutzt.

Höhlenstadt Kandovan

Häuser in der Höhlenstadt

Privatparty inklusive Tanzen am Lagerfeuer

Eingang zum Schrein in Tehran

Persische Fliesenkunst

Chador ist an vielen religiösen Orten für Frauen Pflicht

Spiegelmosaik im Inneren des Königspalasts, Tehran

Wir machen gerne Dinge, von denen in Reiseführern abgeraten wird.

Moderne Architektur: Azadi-Turm in Tehran

Der beste Lagerort für Wassermelonen

Auf den Dächern von Badehäusern findet man viele kleine Ufos

Prächtiges Wohnhaus in Kashan

Freitagsmoschee in Kashan

Svenja im pinken Salzsee

Tretboote auf dem Trockenen

Nasir-al Molk Moschee in Shiraz – auch bekannt als die pinke Moschee

Ruinen von Persepolis

Vakil Bazaar in Shiraz

Innenhof der Shah-e Cherang Moschee in Shiraz

Wüste in der Nähe von Yazd

Armenien

Wir verließen den Trubel der georgischen Hauptstadt, um nur wenige Stunden später in der friedliche Stille der armenischen Stadt Dilijan anzukommen. Dort verbrachten wir ein paar Tage zwischen Wald und Bergen.
In Armenien finden sich, ähnlich wie in Georgien, trotz der kleinen Fläche, vielseitige malerische Landschaften, schöne Wanderwege und antike Kloster, von denen wir nur einen  Bruchteil gesehen haben und für deren Besuch wir sicherlich ein zweites Mal nach Armenien zurückkehren würden. Insgesamt ließen wir uns von der Ruhe Armeniens anstecken und nutzten so unseren kurzen Aufenthalt hier als Gelegenheit, um einen kleinen Urlaub von der Reise einzulegen. Vor der Abreise aus Deutschland planten wir 3 Wochen in Armenien zu verbringen, da wir jedoch in der Ukraine 2 Wochen mehr als geplant blieben haben wir unsere Zeit in Armenien verkürzt, jedoch mit der festen Absicht wieder zu kommen.

Von Dilijan aus ging es für uns mit dem Bus weiter in die Hauptstadt Jerewan. Dort waren wir motiviert genug, zwischen Faulenzen und Vorbereitungen auf unsere Iran-Reise (Shopping..!) an einer Stadtführung teilzunehmen und das Museum über den Völkermord an den Armenier_innen zu besuchen.
Jerewan hat einen auffallend rosa-pinkigen Teint, was, wie wir später erfuhren, an den besonderen Tuff-Steinen liegt, aus denen die Gebäude hier gebaut sind. Über die Stadt zerstreut sind in den Parks und an öffentlichen Plätzen einige moderne Skulpturen zu sehen, die mein kleines Kunstliebhaberinnenherz höher schlagen ließen. <3 Die Stadt erscheint uns wie ein lebenswerter, moderner Ort, der sowohl den Einheimischen als auch Tourist_innen viel bietet. Die Kommunikation mit den Armenier_innen funktionierte übrigens prima: fast jede Person, der wir begegneten, sprach entweder gutes Englisch oder Russisch (oder beides).

Während unserer geführten Tour durch die Stadt lernten wir, dass die Mehrheit der Armenier_innen aus verschiedenen Gründen im Ausland lebt: zum Beispiel in Russland, den USA, Frankreich, Argentinien,… Von insgesamt ca. 11 Millionen Armenier_innen weltweit leben nur ca. 3 Millionen in Armenien. Der Zusammenhalt der armenischen Gemeinschaft besteht jedoch über die Grenzen hinweg und war für uns auch im Stadtbild sichtbar: Wir kamen unterwegs vorbei an einigen internationalen (religiösen) Organisationen, einer US-Amerikanisch-Armenischen Uni und einer Argentinisch-Armenische Schule. Einer der zentralen Plätze wurde kürzlich nach dem französisch-armenischen Chanson-Sänger Charles Aznavour benannt, der sich politisch für das Land einsetzte.

Unser Besuch im Genoziddenkmal ist vielleicht das Erlebnis, das für mich den bisher tiefsten Eindruck hinterlassen hat. Ich will gar nicht so tief ins Detail gehen, was die Inhalte angeht, denn das Eindrucksvolle war für mich die emotionale Atmosphäre, die während der Museumsführung herrschte. In diesem Museum wurden uns die Schicksale der vielen Opfer des Völkermords auf eine sehr gründliche und explizite Weise nahegebracht, die gleichzeitig von den Geschehnissen distanziert und nah dran war und in mir eine Mischung aus Unbehagen und Anteilnahme auslöste.
Einiges ist sehr gut dokumentiert; es wird genau beschrieben, welches Leid die Opfer durchmachen mussten; wie Städte innerhalb von Stunden vernichtet wurden. Ein Drittel der Fläche der heutigen Türkei war vor dem Genozid von Armenier_innen bewohnt gewesen. Es wurden Bilder gezeigt, deren Härte kaum zu übertreffen ist, die mich fassungslos da stehen ließen – vor Allem, wenn ich daran denke, dass heute noch darum gekämpft werden muss, dass die Welt den Völkermord an den Armenier_innen anerkennt. Und dann, kurz vor Ende der Ausstellung kam ein Moment, in dem sich eine Frau aus einer US-Amerikanischen Reisegruppe meldete, ihr Vater habe das Waisenhaus auf dem Foto erkannt, er habe als Kind dort gelebt, bevor er in die USA geholt wurde. In diesem Moment war es so klar erfahrbar, wie wichtig die Vergangenheit auch für die vielen Generationen danach ist. Und wie wichtig es ist, die Geschehnisse in Erinnerung zu behalten und Ernst zu nehmen. Damit so etwas nie wieder passiert.

 

In den ehemaligen UdSSR Staaten begegnen uns viele verlassene Freizeitparks

Dieses alte Kloster im Dilijan Nationalpark wurde vor allem von Kühen besucht, die Schutz vor der Mittagshitze suchten

Kloster von innen

Ghapama – Gefüllter Kürbis (sehr lecker)

Shopping für den Iran gestaltete sich etwas schwieriger als erwartet. Alles war entweder zu kurz oder sah zu doof aus

Platz der Republik in Jerevan

In Armenien gibt es überall Trinkwasserbrunnen! Ein Leben ohne Plastikflaschen 🙂

Die Konstruktion der Strommasten fanden wir manchmal etwas gewagt…

Genozid-Denkmal in Jerevan

Kaskaden in Jerevan

An den Kaskaden in Jerevan

Grantatapfelblüten

Berge in Meghri

Noch mehr Berge in Meghri