Archiv für den Monat: August 2019

Usbekistan

Der Grenzübergang von Turkmenistan nach Usbekistan fühlte sich nach einem Schritt in die Freiheit an! Endlich Handyempfang, Internet, keine Kameras und keine merkwürdigen Verbote. Jedoch trügt der Eindruck etwas, denn bis vor Kurzem gehörte Usbekistan zu den rigideren Reiseländern: mediale Zensur, Registrierungszwang und Visa mit einer Gültigkeitsdauer von maximal 15 Tagen machten Usbekistan insgesamt wenig attraktiv für „normale“ Reisende. In den letzten Jahren allerdings öffnet sich das Land immer mehr für Ausländer_innen. Eine willkommene Veränderung für uns, denn so konnten wir unseren ursprünglich für 15 Tage geplanten Aufenthalt in Usbekistan um einige Tage ausweiten und zwischendurch einen Kurztrip nach Kasachstan machen. 🙂
Die Abschaffung der Visapflicht scheint übrigens zu wirken: Der Tourismus in den alten Städten an der Seidenstraße boomt. Die usbekische Regierung tut einiges, um den Tourismus anzukurbeln – z.B. durch Restaurierungsarbeiten und den Einsatz von Tourist_innen-Polizei (ob die für die Tourist_innen oder für deren Kontrolle ist, haben wir nicht rausgefunden 😀 ). Obwohl während unseres Aufenthalts noch gar nicht Hauptsaison war, sahen und hörten wir auf den Straßen sehr viele Tourist_innen. Die guten und günstigen Hostels waren schnell ausgebucht. Wir mussten uns angewöhnen, Unterkünfte (und Zugtickets) mehrere(!) Tage im Voraus zu buchen.

Die touristischen Attraktionen sind auf hochglanz poliert und auch die Straßen in Usbekistans Städten sind sauber und ordentlich. Der Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass fast alle Autos auf den Straßen weiße Chevrolets sind. General Motors besitzt eine Fabrik in Usbekistan, in der 4 Modelle produziert werden, die hier allesamt mit Stolz gefahren werden. Von den iranischen Verkehrsbedingungen geprägt, konnten wir es gar nicht fassen, dass Zebrastreifen hier wirklich eine Funktion haben und für uns gehalten wurde. Es dauerte ein paar Tage, bis wir die Todesangst und den Laufschritt bei der Straßenüberquerung abgelegt hatten.

Insgesamt waren wir in Usbekistan seeeeeehr faul. Wir waren, wie die meisten Usbekistan-Reisenden, hauptsächlich in den vier großen Städten Khiva, Bukhara, Samarkand und Taschkent und haben dort sehr wenig unternommen. Die Kombination Iran – Usbekistan war für uns wahrscheinlich nicht die Beste. Am Ende unseres Iranaufenthalts war unser Interesse an weiteren Städten inklusive tollen alten Gebäuden auf ein Minimum gesunken. Wir begnügten uns mit knappen Sightseeing-Abstechern und sparten uns viele Eintritte. Im Iran werden die Moscheen genutzt und es wird kein Eintritt verlangt – in Usbekistan handelt es sich eher um Museen, was zu Eintrittsgeldern führt, aber auch den Nebeneffekt hat, dass es dort keine Kleidervorschriften gibt.

Da wir zu faul für Sightseeing waren, nutzten wir die Zeit in Usbekistan ausgiebig für den obligatorischen mittaglichen (Eis-)Kaffee. In Taschkent haben wir einen Beauty-Tag im Schönheitssalon eingelegt: Martina hat eine waschechte postsowjetische Kurzhaar-Föhnfrisur verpasst bekommen, Svenja wurde eine Botox-Behandlung angeboten, die sie dankend abgelehnt hat (für Frauen hier ist Botox spätestens ab 30 Standard). Außerdem war ein Zahnarztbesuch fällig, bei dem es für Svenja nach 1-2 Wochen Zahnschmerzen nun doch eine Füllung gab. Wir wissen nicht genau, ob das in Usbekistan Gang und Gäbe ist, aber die Praxis nutzte ein Behandlungszimmer für mehrere Patient_innen gleichzeitig, zeitweise waren wir zu Dritt.

Unser Fazit zu Usbekistan: Wenngleich Usbekistan wegen unserer Faulheit nicht unser Favorit wurde, denken wir, dass es ein tolles Reiseland ist – vor Allem für diejenigen, die krasse Gebäude und schöne Altstädte im persischen Stil sehen wollen, ohne in den Iran zu gehen. Es ist möglich, binnen kurzer Zeit vieles zu erleben und das Reisen ist hier aufgrund der gut ausgebauten touristischen Infrastruktur unkompliziert und komfortabel – auch lässt sich Usbekistan gut in 10-14 Tagen erkunden und passt somit in den normalen Jahresurlaub.

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Ihr habt vielleicht gemerkt, dass es von uns lange nix neues gab. Das liegt neben unserer Faulheit auch daran, dass unsere ursprünglichen Pläne sich geändert haben. Eigentlich sollte es von Usbekistan aus nach Kirgisistan gehen, um dort einige Wochen auf einem Bauernhof zu verbringen. Wir haben uns jedoch entschiede, getrennt weiterzureisen. Für Svenja bedeutet das eine vierwöchige Reisepause auf dem Bauernhof in der Ukraine mit kurzen Zwischenstopp in Weißrussland und anschließendem Treffen mit ihrer Mutter in Kiew. <3 Danach gehts, diesmal mit kurzem Zwischenstopp in Dubai, nach Indien, wo ihr Vater und Bruder auf sie warten 🙂 Neben Reisepause also viel schöne Familienzeit!
Martina wird der Seidenstraße weiter folgen und entlang der afghanischen Grenze sowie auf dem Pamir Highway durch tadschikistans Bergwelt reisen, bevor es auch sie für eine Reisepause auf einen Bauernhof zieht – in Kirgisistan.

 

So faul waren wir.

Ewige sowjetische Weite in Nukus.

Altstadt in Khiva

Khiva

Souvenirverkäuferin in Khiva

Khiva

Khiva

Kühlschranktransport während unserer Taxifahrt.

Usbekisches Geld. Wir bekamen 100$ in 50ct-Scheinen.

Melonentransport

Eins der usbekischen (Lasten-)Autos. Ein Größenvergleich.

Usbekisches Brot auf dem Bazar

In Bukhara

Der Registan-Platz in Samarkand. Dort wurde ein usbekisches Musikfest vorbereitet.

In Samarkand

Martina frisch nach dem Frisörbesuch (die Haare haben sich inzwischen gelegt).

Eine der Metrostationen in Taschkent.

Metro in Taschkent – Baumwolle ist ein großes Ding in Usbekistan.

Turkmenistan

Turkmenistan gehört zu den am wenigsten besuchten Ländern der Welt: die aktuellen Besucher_innen-Zahlen liegen bei ca. 20.000 pro Jahr. Zum Vergleich: Mali verzeichnete 2016 193.000 Besucher_innen, Nordkorea ca. 7.000 – Turkmenistan ist also deutlich näher an Nordkorea dran (nicht nur, was Besucherzahlen angeht). Die geringen Zahlen liegen daran, dass Turkmenistan sich stark von der Außenwelt isoliert. Ein Reisevisum gibt es nur mit einer geführten Tour durch das Land und selbst dann ist es mit der Visaerteilung ein bisschen wie Lotto spielen. Eine geführte Tour kam für uns nicht in Frage, so blieb nur das 5-Tages Transitvisum, welches wir in der turkmenischen Botschaft im Iran beantragten. Und siehe da, wir hatten Losglück und haben das Visum bekommen.
Turkmenistan gehört zu den am autoritärsten regierten Staaten der Welt. Bei der Pressefreiheit liegt Turkmenistan sogar hinter Nordkorea, auf dem weltweit letzten Platz. Das Leben der Bevölkerung wird durch Regeln und Gesetze dominiert, die der letzte und der aktuelle Präsident/Diktator aufgestellt haben. Der aktuelle Präsident scheint gegen den letzten ein richtiges Unschuldslamm zu sein. Der Vorgänger benannte Wochentage und Monate nach seinen Familienmitgliedern, verbot Musik im Auto sowie Ballett und Opern. Diese Regeln gelten nicht mehr, weiterhin verboten sind jedoch: schwarze Autos, Goldzähne, Leggins, Satellitenschüsseln, Geldwechsel, etc. An manches wird sich gehalten, andere Regeln werden jedoch konsequent ignoriert (z.B. das Verbot von Satellitenschüsseln).

Trotz all dem: Wir hatten eine gute, spannende und merkwürdige Zeit in Turkmenistan. Zum ersten Mal seit Beginn unserer Reise waren wir über einen längeren Zeitraum nicht nur zu zweit unterwegs, sondern zu dritt. Im Iran, kurz vor Turkmenistan, haben wir uns mit Carlo aus den Niederlanden angefreundet und sind gemeinsam bis Usbekistan gereist.

Das erste Ziel unseres kurzen, aber intensiven Turkmenistan-Aufenthaltes war die Hauptstadt Ashgabat. Die Stadt wird einerseits als „Mamorstadt“ und andererseits als die „Stadt der Toten“ bezeichnet. Beide Bezeichnungen passen zu unserem Eindruck. Turkmenistan hat riesige Erdöl- und Erdgasvorkommen und dementsprechend viel Geld, welches vornehmlich in die Hauptstadt investiert wird. Nämlich vor Allem in Form von riesigen, architektonisch höchst anspruchsvollen Gebäuden aus Marmor und Gold sowie deren Instandhaltung. Insgesamt folgt die Stadt sehr konsequent einem Farbkonzept aus weiß, golden und silbern. Wir finden kaum ein Gebäude, eine Straßenlaterne oder einen Mülleimer, welcher aus dieser Farbpalette sticht und sogar die (wenigen) Autos auf der Straße sind weiß (bis auf Taxen). Die Weite und Leere der Plätze und Parks, die makellose Sauberkeit der Straßen und die unreal-verschwenderisch anmutenden Gebäudekomplexe ließen uns nicht mehr aus dem Staunen herauskommen. Reinigungskräfte und Gärtner_innen waren die einzigen Menschen auf den Straßen, neben zahllosen Polizisten. Einmal beobachteten wir, wie die Rückseiten von Straßenschildern geputzt wurde. Wir konnten uns nicht sattsehen an der Pracht und waren doch eingeschüchtert von der menschenleeren, streng kameraüberwachten Weite.

Nach einem Monat Detox im Iran wollten wir am ersten Abend in Ashgabat eine Kneipentour machen. Direkt nach dem Besuch der ersten Kneipe hörten wir in einiger Entfernung laute Musik mit dickem Bass, deren Ursprung wir gleich aufsuchten, um vor einem Hochhaus zwischen zwei Festzelten eine Gruppe tanzender Frauen zu entdecken. Dank Martinas Russischkenntnissen haben wir erfahren, dass es sich um eine Babyparty handelte, die von der stolzen Oma veranstaltet wurde. Diese lud uns direkt zum mittanzen und -feiern ein! Carlo wurde nach wenigen Minuten ins Männerzelt entführt, wo er 10 Minuten und 7 Schnäpse später wieder raus kam, um uns zu sagen, dass er zum Abendessen bleibt. Auch im Frauenzelt wurden wir mit reichlich Essen versorgt: Reis mit Fleisch, Suppe, Obst, Kuchen, Brot, Salate, jedoch kein Alkohol. Unsere vegetarische Ernährung wird in solchen Momenten der Gastfreundschaft und Höflichkeit wegen verworfen, auch wenn sich der Körper am nächsten Tag ziemlich beschwert. Bis zum Beginn der Sperrstunde (23 Uhr) feierten wir mit der Familie und Nachbarschaft, die uns herzlich in ihre Runde aufgenommen haben. Wer möchte, kann sich dieses Video von Martina beim Tanzen anschauen, um einen kleinen Eindruck zu bekommen.
Neben den wilden Dancemoves haben uns auch die wunderschönen Frauen begeistert. Wir hatten vorab gehört, dass die schönsten Frauen der Welt in Turkmenistan leben, und dem würden wir zustimmen. 95% der Frauen tragen traditionelle bodenlange, farbenfrohe Kleider, die an sich schon ein Blickfang sind und die Frauen noch besser aussehen lassen. Ich habe mir voller Optimismus auch so ein Kleid schneidern lassen… 😀

Nach zwei Tagen voller Staunen, Starren und etwas beklemmter Fassungslosigkeit ging es von Ashgabat aus in die Karakum-Wüste zum Krater von Derweze. 95% des Landes, welches insgesamt die Größe von Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammen hat, sind von der Wüste bedeckt. Es war wohl die bisher langweiligste Fahrt unserer Reise, doch es hat sich gelohnt! Der Krater von Derweze ist ein großes Loch mitten in der Wüste. Es hat einen Durchmesser von ca. 70 Metern und steht in Flammen. Ja genau, ein riesiges, brennendes Loch in der Wüste! 1971 wurde bei Bohrungen eine mit Gas gefüllte Höhle angebohrt. Die Bohrplattform brach zusammen und giftiges Gas trat aus. Die Geologen wollten den weiteren Austritt des Gases verhindern und zündeten es an, mit dem Gedanken, dass in ein paar Tagen alles vorbei ist. Und so brennt der Krater seit über 40 Jahren.
Wir trafen weitere Touris am Jurtencamp (vier um genau zu sein, viel los ist da nicht) und verbrachten mit einigen von ihnen einen schönen Abend (inklusive turkmenischem Wein – wir haben aus unserer Fahrt mit der ukrainischen Fähre gelernt). Nach der Zeit am Lagerfeuer (Krater) folgte ein weiteres Highlight: Eine Nacht unter freiem Himmel in der Wüste! Ich habe noch nie so viele Sterne gesehen und da es eine mondlose Nacht war, konnten wir sogar die Milchstraße sehen. Für mich das schönste, was ich bisher auf dieser Reise gesehen habe. Da können weder Moscheen, Kirchen, Ruinen noch Delfine mithalten.

Nach dieser zauberhaften Nacht ging es am nächsten Morgen weiter auf der langweiligen Straße durch die Wüste, bis wir nach knapp 300 Kilometern auf der anderen Seite des Landes ankamen, im historischen Köneürgenc. Die einst prachtvolle Stadt der Seidenstraße ist heute mehr ein verschlafenes Örtchen mit schlechten Lebensbedingungen. Wir waren schockiert über den Unterschied zwischen Stadt und Land. Das Geld, welches in der Hauptstadt so nutzlos ausgegeben wird, könnte hier die Wasserversorgung oder den Straßenausbau finanzieren. Doch der Präsident schert sich nicht sonderlich um die Bevölkerung. Für Bauprojekte in der Hauptstadt werden regelmäßig ganze Dörfer zerstört und zehntausende Menschen umgesiedelt – die Landbevölkerung wird einfach ignoriert.
Auf uns wartete in Köneürgenc, neben historischen Sehenswürdigkeiten, das schrecklichste Hotelbadezimmer unseres Lebens. Das Tor von Derweze wird zwar als Tor zur Hölle bezeichnet, doch unsere Badezimmertür hatte diese Bezeichnung eher verdient. Ich erspare euch die Details und erwähne nur kurz die verschiedenen Körperflüssigkeiten an den Wänden und dem Duschvorhang. 😀 Wir waren froh, am nächsten Morgen auszuchecken und eine Ländergrenze zwischen uns und dieses Badezimmer zu bringen.

Ein Fazit nach 5 Tagen Turkmenistan: Wir sind froh, einen kurzen Einblick in dieses Land bekommen zu haben und waren auch froh, den totalitären Staat wieder zu verlassen und die damit verbundene Beklemmung hinter uns zu lassen. In jedem anderen Land konnten wir uns im Notfall auf Hilfe durch die deutsche Botschaft verlassen und standen übers Internet mit der Außenwelt in Kontakt. Diese beiden Dinge fielen im isolierten Turkmenistan weg.
Betrachtet man die Zeit abgesehen von den politischen Gegebenheiten (soweit das möglich ist), gibt es jedoch ein anderes Bild. Die Menschen, denen wir begegnet sind, waren wieder einmal sehr freundlich, ob es nun die Partygäste waren oder Restaurantbesitzer. Und wir waren froh, nach dem etwas einseitigen Essen im Iran in Turkmenistan die Auswahl zwischen russischer, türkischer und persischer Küche zu haben.

Eine der zahlreichen Parkanlagen in der Wüstenstadt Ashgabat

Riesige Bildschirme mit Werbung oder TV-Shows an öffentlichen Plätzen

Das nationale Teppichmuseum – hier hängt der größte Teppich der Welt.

Auf dem Sockel: eine der goldenen Statuen des alten Präsidenten

Die meiste Zeit ist es hier ziemlich einsam.

Auf den Straßen begegneten wir nur Arbeiter_innen.

Kameras sind wirklich überall

Kitsch im Einkaufszentrum

Kitsch im Café

Am Olympia-Stadion

Das Olympia-Stadion von weitem

Carlo begleitete uns durch Turkmenistan.

Ashgabat bei Nacht.

Der alte Präsident im Olympia-Stadion. Er ist sehr stolz auf seine Stadt.

Das Yurten-Camp am Krater von Derveze.

Hier wohnt ein kleines süßes Dromedar-Baby!

Das Tor zur Hölle von Nahem. Ganz schön heiß hier!

Der Krater von Derveze bei Sonnenuntergang.

Wir verbrachten die Nacht draußen unter dem Sternenhimmel

Die Straßen in Köneürgenc.

Der Eingang zu diesem sehr guten Restaurant in Köneürgenc war nicht leicht zu finden.

In einem historischen Gebäude in Köneürgenc. Die Bilder dienen als Kalender.

Begegnungen im Iran

Wir hatten vorab gehört, dass sich das öffentliche Leben stark vom dem unterscheidet, was privat passiert. Um auch einen Blick hinter die Kulissen des durch die Regierung/Religion/Politik streng geregelten Straßenlebens werfen zu können, haben wir uns im Iran mehrfach über die Internetseite couchsurfing.com mit Leuten verabredet und auch Übernachtungsmöglichkeiten gefunden. Doch auch auf der Straße und durch Kontakte in Deutschland haben wir wunderbare Menschen getroffen!

Couchsurfing ist im Iran illegal und einige andere Dinge und Gespräche, von denen wir hier berichten werden, auch. Darum gibt es keine Fotos, Namen und konkrete Orte zu unseren Bekanntschaften.

Da Männer und Frauen sich nicht berühren dürfen, ist auch das Händeschütteln zur Begrüßung ein Tabu. Das dachten wir zumindest, bis wir den ersten Couchsurfer trafen, der uns zur Begrüßung freudig die Hand entgegen streckte. Es folgten zwei Abende mit Gesprächen über Politik, Geschichte, Religion und Leben im Iran sowie anderswo. Hier hörten wir zum ersten Mal vom Doppelleben der Menschen. Unser Bekannter führt sogar mehr als zwei Leben. In den letzten drei Jahren hat er sich mit knapp 200 Ausländer_innen getroffen, verbotene Gespräche geführt und so seinen Blick auf die Welt verändert. Gleichzeitig leistet er seinen Militärdienst bei der Revolutionsgarde und ist dort der regimetreue Soldat. Beim Spaziergang mit uns durch die Straßen beobachtet er unauffällig die Umgebung und Menschen um uns herum. Als er am nächsten Tag beim Militär von einem Kollegen auf uns angesprochen wird, der uns gemeinsam gesehen hat, hat er schon eine Geschichte parat. Neben diesen zwei Leben gibt es noch den braven Sohn, den gottesfürchtigen jungen Mann auf der Straße und wer weiß welche Versionen im restlichen Alltag. Im Iran so weiterzuleben scheint ihm unmöglich. Zu sehr müsste er sich verstellen und gegen seine Überzeugungen handeln. Ein Leben außerhalb des Irans scheint ebenfalls unmöglich, wohin soll er? Ziemlich viele Sorgen für einen gerade mal 19-jährigen.

Unsere nächste Begegnung mit Couchsurfern läuft ganz anders und hat doch Parallelen. Diesmal trafen wir eine ganze Gruppe junger Menschen, denen es herzlich egal war, ob wir gemeinsam gesehen werden. Der Militärdienst liegt hinter ihnen, sie haben bereits Jobs und sich mit den Widersprüchen in ihrem Leben abgefunden. Auch wenn sie es sich anders wünschen würden, machen sie das Beste aus dem, was sie haben. Wichtig ist ihnen, was wir später über den Iran erzählen werden: Wird es eine Geschichte über Terror und Angst oder berichten wir über Menschen, Leben und Erlebnisse? Wir verbrachten 24 gute Stunden miteinander, die geprägt waren von sehr gutem Kaffee, einem frisch verheirateten Ehepaar, bei dem wir übernachten (die beiden strahlen richtig als sie uns Fotos der Flitterwochen in Thailand zeigen) und einer Leichtigkeit, die wir bei unserer letzten Begegnung nicht so gemerkt haben.

Für das nächste Ziel war eigentlich kein Treffen geplant. Planlos schlenderten wir kurz nach unserer Ankunft durch die Fußgängerzone. Es war 23 Uhr und wir erwarteten eigentlich nicht mehr viel, doch dann haben uns zwei junge Menschen „verfolgt“ und  zum Tee eingeladen. Ich war eigentlich schon müde, doch Martina noch unternehmungslustig und so nahmen wir die Einladung an. Was ein Glück! Die Begegnung hat uns einige der schönsten Momente im Iran beschert! Die beiden gehören zu einer größeren Gruppe Künstler_innen, mit denen wir einen großen Teil der kommenden Tage verbrachten. Neben Kunstausstellung, Essen gehen, Privatparty und Ausflügen aufs Land haben wir vor allem die ehrlichen Gespräche genossen. Wir haben erfahren, wie es mit Beziehungen und Sex vor der Ehe im Iran aussieht: Für die meisten Standard, jedoch ausschließlich im Geheimen und dementsprechend oft mit Lügen, Druck und auch Angst verbunden. Die Pille und die Pille danach gibt es rezeptfrei in der Apotheke, sofern direkt in Bar gezahlt wird (mit ausreichend Geld ist alles im Iran möglich). Dafür kann ein Besuch beim Frauenarzt Angst und Probleme machen. Wenn über die Versicherung abgerechnet wird, und der Arzt/Ärztin feststellt, dass die Patientin, obwohl sie unverheiratet ist, bereits Sex hatte, könnte das an die Familie oder öffentliche Stellen weitergeben werden. Insgesamt sind viele Dinge, die uns selbstverständlich und alltäglich erscheinen, mit Angst und Verboten verbunden. So wird jeder Zentimeter Kopf ohne Tuch, jeder gerauchte Joint, jedes Bier und jede Berührung auch zur kleinen Rebellion gegen die Regierung. Unterstützung bekommt diese Künstlertruppe von einer Deutsch-Iranerin, die mit ihrem Garten außerhalb der Stadt ein Stückchen Europa und Freiheit ermöglicht. Wir genoßen die Tage in vollen Zügen, nur zum Sightseeing kamen wir nicht. Aber unser tatsächliches Programm war so viel besser! Ein bitterer Beigeschmack bleibt jedoch auch bei dieser Begegnung zurück, trotz der Lebensfreude und Freiheit im Kleinen, sind auch innerhalb dieser Gruppe alle unzufrieden mit dem politischen System und sehen wenig Zukunftsperspektiven für sich.

Die nächste wunderbare Begegnung wurde nicht durch den Zufall, sondern meinen Vater organisiert. Wir trafen die Frau seines Arbeitskollegen in Teheran, wo sie mehrere Monate im Jahr ihre Familie besucht. Es war ein Tag voller Herzlichkeit, Energie, Essen und weiterer Einblicke, die wir alleine gar nicht bekommen hätten: zum Beispiel ein Besuch im Frauenschwimmbad. Auf der Straße dürfen Frauen weder Singen noch Tanzen und durch die islamische Kleiderordnung sind zusätzlich alle Damen stark bekleidet. Im Schwimmbad hat sich uns eine andere Welt aufgetan! Jedes deutsche Schwimmbad ist eine Trauerfeier dagegen. Es wurde getanzt, gesungen und natürlich auch geschwommen. Wieder einmal zeigt sich, wie anders das Leben hinter verschlossenen Türen doch ist, wobei es in diesem Fall ein öffentliches Schwimmbad war.

Neben vielen Eindrücken die so gar nicht zum (unserem?) öffentlichen Bild des Irans passen, sind wir natürlich auch Menschen begegnet, die die islamischen Vorschriften gut finden und einhalten. Ein Mann, der Deutsch kann, hat uns erzählt, wie wunderbar seine Regierung ist. Ein Ehepaar – die Frau ist islamische Religionslehrerin – hat uns einen Tag unter ihre Fittiche genommen, nachdem wir erzählt haben, dass wir in Deutschland für die Kirche arbeiten. Die Begegnungen waren, wie auch die anderen, von Herzlichkeit und Gastfreundschaft geprägt. Jedoch fühlt es sich für uns komisch an gefragt zu werden, ob wir gerne ins Fußballstadion gehen, wenn wir wissen, dass es für Frauen im Iran illegal ist.

Wir könnten die Erzählungen von wunderbaren Begegnungen endlos fortsetzen, so viel Gutes haben wir erlebt. Unsere Begeisterung für den Iran gilt vor allem den wunderbaren Menschen, die wir treffen durften!

Und nun noch ein paar zusammenhangslose Fotos aus dem Iran, die Martina gerne zeigen will. 😀

Eine Familie hat für uns persisch und vegetarisch gekocht.

Perserkatze auf Perserteppich!

Wegen der Hitze sind die Straßen mittags ganz schön leer.

Puppen im Museum – hier: einer der Shahs

Abends an der Tabiat-Brücke, Tehran

Im Innenhof einer Moschee in Esfahan

Persische Fensterkunst

Der höchste Windturm in Yazd – antike Klimatechnologie!

Alte Wasserspeicher in Yazd – die 4 Windtürme dienen der Kühlung.

Gebetstempel der AnhängerInnen des Zoroastrismus (Religion)

Vorne: Wasserspeicher, hinten: Turm der Stille (Bestattungsort der Zoroaster_innen)

Im Inneren eines Turms der Stille

Die große Moschee in Mashhad

An der Grenze zu Turkmenistan